Sprachencharta wartet auf Umsetzung

Krzysztof Ogiolda
Krzysztof Ogiolda
Dr. Tomasz Wicherkiewicz, Sprachwissenschaftler an der Adam Mickiewicz Universität in Posen, Leiter der Abteilung für Sprachpolitik und Minderheitenforschung.

- Über Generationen haben Deutsche und Angehörige anderer Minderheiten in Polen von der Existenz und Ratifizierung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen in unserem Land nicht einmal geträumt. Warum sorgt sie nun hauptsächlich für Enttäuschung?
- So würde ich das nicht bezeichnen. Die Tatsache der Ratifizierung der Charta durch Polen ist natürlich ein Erfolg. Es stimmt jedoch, dass die zuständigen polnischen Zentralbehörden die Instrumente und Mechanismen der Charta nicht genauer unter die Lupe nahmen. Das Expertenkomitee des Europarates beurteilt nun negativ die Erfüllung von Verpflichtungen, die Polen selbst auf sich genommen hat. Die Charta ist eine Art Menü. Man hat sich leider die verschiedenen Möglichkeiten nicht näher angesehen und beispielweise im Bildungsbereich von vier möglichen Verpflichtungsstufen ausschließlich die anspruchsvollste gewählt.

- Was ist schlecht daran, dass der Staat die Pflicht auf sich nahm, die Minderheiten im Bildungsbereich möglichst gut zu unterstützen?
- Manche Postulate haben sich als völlig unrealistisch erwiesen. Man hat sich z. B. verpflichtet auf allen Ebenen vom Kindergarten, über Grundschule, Gymnasium, Mittel- bis zur Hochschule den Unterricht aller 14 Minderheiten- und Regionalsprachen zu gewährleisten. Das gilt auch für Deutsch. Aber auch für Karaimisch, das in Polen nur drei Personen sprechen, und für Tatarisch, das meines Wissens niemand mehr spricht. Dazu hat sich Polen nicht nur verpflichtet, diese Sprachen zu unterrichten. Das könnte man mit der Zeit ja verwirklichen. Aber Polen hat sich auch verpflichtet, den Unterricht von Biologie, Physik, Religion usw. in all den Sprachen zu organisieren. Es war eine Schlamperei der Gesetzgebung, nun werden wir jedoch danach beurteilt, ob wir diese Verpflichtungen erfüllt haben.

- Kommen wir zurück zu der deutschen Sprache. Damit sie in den Gemeinden als Hilfssprache gebraucht werden kann, muss der Anteil der Bürger aus den Reihen der Minderheit mindestens 20 Prozent betragen. Zu viel, zu wenig oder genau richtig?
- Die polnischen Behörden haben falsch angenommen, dass die Ratifizierung der Europäischen Sprachencharta Anerkennung von Verpflichtungen bedeutet, die ohnehin das polnische Gesetz über nationale und ethnische Minderheiten mit sich bringt. In diesem Gesetz ist die Schwelle von 20 Prozent festgelegt. Ich persönlich war der Meinung, dass für die polnischen Verhältnisse diese 20 Prozent für den Anfang kein schlechtes Experiment sind. Das Expertenkomitee des Europarates beurteilt jedoch diese Schwelle als viel zu hoch. Denn wenn man sich die Minderheitengesetze anderswo in Europa ansieht, gibt es nirgendwo eine solch hohe Schwelle. Bei unseren Nachbarn in Tschechien kann die polnische Sprache bereits verwendet werden, wenn der Anteil der polnischen Minderheitsangehörigen bei nur ein paar Prozent liegt.

- Aber das Empfinden der Bevölkerung in Polen ist anders. Für einen beträchtlichen Teil der Mehrheit ist die Schwelle von 20 Prozent nicht zu hoch...
- Und hier kommen wir zu einer wesentlichen Differenzierung, also zum Geist der Charta. Dieser besteht nicht nur darin, Diskriminierung vorzubeugen. Das Wesen der Sprachencharta besteht vielmehr in der Gestaltung von freundlichen Bedingungen für Mehrsprachigkeit und Multikulturalität. In Polen gibt es heute kein Verständnis für diesen so umschriebenen Geist der Charta. Sowohl die Regierungsstellen als auch die Nichtregierungsorganisationen nehmen die Pflicht auf sich, Multikulturalität und Mehrsprachigkeit zu fördern. Sie behandeln jedoch die Sprachencharta als eine zusätzliche Last, die über ihren Köpfen hängt. Bei uns denkt man dabei immer noch in der Kategorie eines notwendigen Schutzrechts, und nicht positiv, in der Kategorie einer Förderung der Minderheitenrechte. Wir haben darüber nicht nur einmal bei den Sitzungen der gemeinsamen Kommission der Regierung und der nationalen Minderheiten diskutiert.

- Und was hat sich dabei herausgestellt?
- Dass es Pläne von Fördermaßnahmen gibt, doch die Programme sollen für Kinder in den Minderheitenschulen vorbereitet werden, die doch auf natürliche Art und Weise mehrsprachig und offen auf andere Kulturen sind. Es gibt jedoch kein Förderprogramm für die polnischen Schulen überhaupt, das für die Mehrsprachigkeit allgemein werben würde. Dabei spreche ich nicht von Kenntnis mehrerer Fremdsprachen, sondern von der Gestaltung eines freundlichen Klimas für die Sprachlandschaft, welche die Kinder umgibt. Ich denke hier an eine Umwandlung der Gesellschaft, die sehr lange einsprachig war, in eine Gesellschaft, die der Mehrsprachigkeit freundlich gegenüber tritt.

- Das klingt gut, wie soll man es aber in die Praxis umsetzen?
- Kinder der deutschen oder der litauischen Minderheit lernen ihre Sprache. Und die Kinder aus der Mehrheit lernen selbstverständlich nicht alle die Sprache der Minderheit, aber sie sollten zumindest alle von dieser Sprache erfahren: Sie lernen ein paar Lieder kennen, können in dieser Sprache jemanden begrüßen und wundern sich nicht darüber, dass ihr Freund aus der Minderheit mit seiner Mutter oder beim Arzt Deutsch spricht. Weil es auch eine Sprache ist, die genauso Respekt verdient.

- Aber sehr viele Menschen begreifen das bereits. Deutsch lernen im Oppelner Land sehr viele Kinder aus der polnischen Mehrheit.
- Deutsch hat das Glück, eine recht starke internationale Sprache zu sein. Anders sieht sicher die Lage in Raum Bialystok aus, wo Weißrussisch kaum populär ist. Und die Sympathie für die Weißrussen bezieht sich eher auf jene außerhalb unserer Grenzen lebenden Weißrussen und nicht diejenigen, die unsere Mitbürger sind.

- Bei der Minderheitenbildung haben wir seit Jahren mit einem Teufelskreis zu tun. Die Minderheit klagt über Mangel an Lehrbüchern, Lehrprogrammen und Lehrern für den Unterricht anderer Fächer in Deutsch, und das Bildungsministerium ermutigt: Schreibt Lehrbücher, bereitet Programme vor und bildet eure Fachlehrer aus. Was meint die Sprachencharta dazu?
- Aus der Perspektive der Charta ist die Antwort eindeutig. Die Regierung hat sich verpflichtet gleichermaßen für alle Minderheiten Unterrichtswesen, Bildungsmaterialien, Aus- und Weiterbildung für die Lehrer sowie Berichterstattung für Strassburg und die Öffentlichkeit zu gewährleisten. Wenn wir also eine solche Verpflichtung auf uns genommen haben, muss sich nun das Bewusstsein der Beamten ändern. Weil die behördliche Einstellung zum Unterricht einerseits einer Minderheitensprache und andererseits der Sprache der Mehrheitsbevölkerung sollte sich aus Sicht der Charta praktisch nicht unterscheiden.
- Welche Rolle spielt dabei die Minderheit?
- Der Staat kann und sollte natürlich mit ihr zusammenarbeiten, sollte die Minderheit dazu ermutigen, Hilfsmaterialien für den Unterricht vorzubereiten, und bei der Ausbildung der Lehrer helfen, nicht nur der Philologen, sondern auch der Fachlehrkräfte. Es geht aber um eine Zusammenarbeit und nicht um das Denken nach dem Motto: Ihr wollt Schulen, also solltet ihr sehen, wie ihr zurechtkommt.

- Das Denken wird sich vielleicht mit der Zeit ändern, der Mangel an Fachlehrern mit Deutschkenntnissen ist aber immer noch dramatisch.
- Vor zwei Jahren haben wir Vorbereitungen für die Gründung einer Expertengruppe getroffen, welche die Minderheiten, auch als Lehrer unterstützen könnten. Wenn Minderheitenschulen mehr Subventionen bekommen, sollte man vielleicht an einen Bildungsbonus für qualifizierte Lehrer für Minderheiten denken.

- Die Sache kann an der Finanzierung scheitern.
- Laut unseren Schätzungen wären die Kosten polenweit gerechnet nicht sehr hoch. Man braucht vor allem einen guten Willen und Organisationsarbeit.

- Wie beurteilen Sie aus der Sicht der Charta die Präsenz der Minderheiten in landesweiten polnischen Medien?
- Auf der Seite der Minderheiten liegt in gewisser Hinsicht das Niveau der Programme. Vor 10-15 Jahren kam es noch vor, dass Minderheitenprogramme zu guten Sendezeiten ausgestrahlt wurden. Zur Zeit ist diese Thematik aus dem öffentlichen Fernsehen verschwunden oder wird zu unmöglichen Zeiten gesendet. Dabei werden nicht nur Minderheitenprogramme benötigt, sondern auch Sendungen, welche Wissen über Minderheiten verbreiten und das Interesse für Multikulturalität und Mehrsprachigkeit stimulieren. Solange noch Zeit ist, denn womöglich lebt bei uns die vorletzte Generation, die noch andere Muttersprachen als das Polnische hat. Tłum. ELF

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